
Weil wir mit dem Bus nach Zell am See fahren müssen, sind wir früh auf den Beinen. Zum Frühstück kehren wir wieder „Bei Albert“ ein. Das Restaurant liegt nur drei Fußminuten von unserer Unterkunft, dem „Tischlerwirt“, entfernt an derselben Straße. Wir haben gestern beim Abendessen erfahren, dass wir uns morgens in ein Frühstückbuffet einkaufen können. Das machen wir und blicken beim Frühstück angesichts des schönen Wetters optimistisch auf den Tag.
Von der Schmittenhöhe flogen Eli und ich vor drei Jahren zum Abschluss unserer ersten Safari bis in die Ramsau. Warum sollte das heute nicht auch gelingen? Entscheidend für einen guten Einstieg in den Flug ist eine gelungene Überquerung des Zeller Sees oberhalb des Luftraumes, der für die Segelflieger reserviert ist. Gegen Mittag soll heute die Wolkenbasis knapp unter 3000 msl liegen. Können wir sie erreichen, werden wir auch sicher über den See kommen ...
Da wir unser Gepäck gleich mitgenommen haben, begeben wir uns nach dem Frühstück direkt zur Bushaltestelle. Wir sind gut in der Zeit, aber der Bus hat so viel Verspätung, dass wir zuletzt nicht mehr an sein Eintreffen geglaubt haben. Allerdings gibt es einen guten Grund für sein langsames Vorankommen: Der Busfahrer ist ein Trainee, der auf seiner ersten Fahrt von einem begleitenden Instrukteur penibel unterwiesen wird.
Als ich beim Einsteigen für mich den Seniorentarif reklamiere, nickt der Fahrer. Aber der Instrukteur greift ein. Ich müsse im Besitz eines Seniorenausweises sein, erklärt er, ansonsten sei der volle Preis zu entrichten. Der Fahrer bedeutet mir durch ein Achselzucken, dass er nichts machen könne. Da ich keinen österreichischen Seniorenausweis besitze, will ich meinen Personalausweis vorzeigen. Diesen lehnt aber der Instrukteur als Rabatt-Berechtigung ab. Also zahle ich den vollen Preis.
Die Fahrt zieht sich in die Länge. In Zell am See muss der Busfahrer zum Abbiegen auf den Busbahnhof nach einer Kehrtwende einen zweiten Anlauf nehmen, weil er sich mit dem Kurvenradius des Busses verschätzt hat. Als wir den Bus verlassen, um in den Bus zur Seilbahn umzusteigen, zeige ich dem Instrukteur meine Senioren-Bahncard der ÖBB. „Tja“, sagt er mit einer Geste des Bedauerns, „die hätte natürlich als Legitimation für eine Seniorenfahrkarte ausgereicht.“ „Gut, gut“, entgegne ich, „jetzt bin ich ein wenig schlauer.“

Auf der Schmitten stellen wir fest, dass bislang nur abwärts geflogen wird. Gegen halb elf beginnen wir trotzdem, uns fertig zu machen. Als mehrere Tandempiloten mit ihren Passagieren auf dem Hauptstartplatz (Ausrichtung: Nordwest) erscheinen, entschließen wir uns, abzuwarten und die Starts der Tandems zu beobachten.
Die Starts erfolgen problemlos, weil der kräftige Nordwestwind frontal den Starthang heraufweht. Einmal in der Luft, biegen die Tandems zügig nach Süden ab und verschwinden aus unserem Blickfeld. An ein Aufdrehen im Luv über dem Starthang ist offensichtlich nicht zu denken. Ich folge nach meinem Start trotzdem zunächst ein Stück weit dem Sessellift nach Nordwesten, fliege dann aber auf der Suche nach Thermik auf den von der Schmittenhöhe nach Süden verlaufenden Bergrücken.
Heidewitzka, welch ein Rodeo! Es geht im flotten Wechsel auf- und abwärts. Ich habe alle Hände voll zu tun, den Schirm offen zu halten. Eli ist wie üblich kurz nach mir gestartet. Es geht ihr nicht besser. Nachdem ich vielleicht 200 Meter Höhe erritten habe, falle ich nach unten durch die Thermik durch. Weil mein Vario mit hässlichem Brummen 3 m/s Sinken anzeigt, trete ich die Flucht in Richtung Tal an.
Ein paar hundert Meter weiter südlich finde ich einen zuverlässigen Bart. Eli lässt sich noch etwas länger hochbocken, kommt dann aber in meinen Bart herüber und kurbelt oberhalb von mir bis an die Basis.
Mit einer Höhe von 2800 msl fliegt Eli nach Osten zur Überquerung des Sees ab. Ich mache noch ein, zwei Kreise mehr und folge auf einer etwas höheren Route. Auf der anderen Seite des Sees erreichen wir locker den Hahneckkogel.

Ich schaue mir das Wolkenbild in Flugrichtung an. Ein schöner Cumulus steht in nordwestlicher Richtung über dem Hundstein, südöstlich davon ein Wolkenband über dem Grat der Pfarrachhöhe. Anno 2021 flogen wir vom Hahneckkogel zunächst zum Hundstein, um dort noch einmal vor der Querung des Salzachtals richtig Höhe zu machen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es heuer zum Hundstein reicht. Ich überlege, welche Entscheidung ich treffen würde, wenn ich jetzt unbegleitet unterwegs wäre. Wahrscheinlich würde ich raumschots mit Kurs nach Osten die Pfarrachhöhe ansteuern, um von dort mit ausreichender Höhe zur Talquerung nach Süden anzusetzen.
Eli folgt zunächst dem nach Nordosten verlaufenden Höhenzug in Richtung Hundstein, biegt dann aber plötzlich nach Südosten zur Querung des Salzachtals ab. „Oh, oh“, denke ich, „das wird nicht gut gehen! Von unserem Wendepunkt an der Moosalmhöhe über das Salzachtal hinweg bis zum westlichen Grat des Hennkarköpfl sind es knapp sieben Kilometer - und wir haben nach dem Erreichen des Hahneckkogels nicht einen Meter Höhe gemacht.“
Tatsächlich erreiche ich auf der Südseite des Salzachtals den Prallhang des Hennharköpfl so tief, dass praktisch keine Arbeitshöhe mehr übrig bleibt. Ich mache ein paar erfolglose Versuche, wenigstens die Ankunfthöhe zu halten. Als das nicht gelingt, entscheide ich mich - auch angesichts der vielen Hochspannungsleitungen im Tal - schweren Herzens für eine sichere Landung in Taxenbach.
Eli hat den Grat des Hennkarköpfl etwa 100 Meter höher als ich erreicht. Sie kann sich halten und auf eine Ablösung warten. Mit der nächsten soart sie bis zum Gipfel auf und springt dann von Bergflanke zu Bergflanke, bis sie schließlich 25 Kilometer weiter östlich in Wagrain landet.
Weil in den nächsten Stunden kein Zug von Taxenbach nach St. Johann fährt, versuche ich mich im Autostopp. Nach einer Weile hält ein freundliches Ehepaar, das auf dem Weg nach Graz ist. Sie nehmen freundlicher Weise einen Umweg in Kauf und lassen mich in St. Johann an der Bundesstrasse beim Lidl aussteigen. Nach einem 20-minütigem Fußmarsch erreiche ich den Bahnhof, der auf der anderen, westlichen Seite der Gleisanlage liegt.
Unter Einsatz meiner ÖBB Bahncard löse ich ein Ticket nach Schladming. Der von mir auserkorene Zug, der durch das Ennstal nach Graz fährt, hat Verspätung. Ich warte ...
Endlich rollt ein Zug ein. Erst nachdem er abgefahren ist, merke ich, dass ich im falschen sitze. Er fährt nicht nach Graz, sondern nach Salzburg. Also hüpfe ich in Bischofshofen wieder heraus und steige einige Minuten später in den hinterherfahrenden richtigen ein.
Eli und ich verständigen uns über WhatsApp. Sie hat es so zügig geschafft, per Anhalter mitgenommen zu werden, dass sie in Radstadt zu mir in den Zug steigen kann. Als sie sich mir gegenüber auf den Sitz fallen lässt, stellen wir mit Befriedigung fest, dass wir ein echtes starkes Team sind. Nicht nur beim Fliegen, sondern auch beim Bus- und Bahnfahren 😊.
Natürlich frage ich sie, warum sie vom Hahneckkogel nicht weiter zur Pfarrachhöhe geflogen ist. Sie antwortet, sie habe nicht noch einmal ins Rodeo gewollt. Der Höhenwind habe ständig zugenommen. Wetterstationen hätten oberhalb von 3000 msl Windgeschwindigkeiten von bis zu 50 km/h gemeldet. Deswegen sei sie auch nach der Salzachtal-Querung unterhalb der Gipfel auf den Luvhängen geblieben.
Ich nehme ihre Einschätzung zum Anlass, mit dem Flugtag meinen Frieden zu schließen. Aber wenn ich es noch einmal entscheiden dürfte, würde ich trotzdem vom Hahneckkogel mit dem gegebenen Ausblick auf kompakte Cumuli ein Stückchen weiter nach Osten fliegen ...
Ich schlage vor, dass wir in Schladming auf dem „Hauptplatz“ zum Abschluss unserer Safari ein dickes Eis essen gehen. Eli ist sehr einverstanden. Sie klärt mit Aufwind-Pilot Manu ab, dass er uns dort trifft. Im weiteren Verlauf des Tages bringt er uns in die Ramsau, von wo aus wir mit Elis Auto weiter nach Kuchl fahren. Bei Ankunft im Hause Eichholzer wird bereits von Heli und befreundeten Bergsportlern das Abendessen zubereitet.
Bestens restauriert, geht es nach Einbruch der Dunkelheit auf die Autobahn. Eli und Heli wollen nach Mayrhofen, um dort morgen mit Ewan McGregor die vereinbarten Filmaufnahmen zu machen. Auf dem Weg dorthin bringen sie mich zu meinem Auto nach Kössen.
Kurz bevor wir den Ort erreichen, öffnet der Himmel seine Schleusen. In dem folgenden Wolkenbruch gibt es eine kleine Pause, die ich nutzen kann, um von einem Auto ins andere zu wechseln. Da die Streckenflugwoche der „Glorreichen Sieben“ erst am Samstag beginnt, fahre ich für ein paar Tage zu Armin nach Regensburg. Eine gute Gelegenheit, auch ein bisschen Zeit mit Enkeltöchterchen Mirabelle zu verbringen.
Um halb zwei in der Nacht erreiche ich das Ziel und schleiche mich in Armins Haus. Obwohl es schon so spät ist, liege ich noch eine Weile wach. Die Eindrücke der vergangenen fünf Tage bilden ein prächtiges Kaleidoskop vor meinem inneren Auge.
Dann verdichten sich die tanzenden Bilder zu einer
Frage: „Warum machst du das eigentlich, hm?“ Für einen
Moment Gedankenstille - ...
„Dummkopf!“, sage ich dann laut, „du machst es, weil es irrsinnig viel Spaß macht - und es ein besonderes Glück ist, von einer exzellenten Pilotin in bester Freundschaft exklusiv auf professionelle Weise fliegerisch betreut zu werden!“
