
Beim Frühstück, das deutlich besser als die Abendspeisen ist, diskutieren wir den Tagesplan. Das Wetter sieht vielversprechend aus. Unser Ziel haben wir schon gestern gesteckt. Wir wollen heute Zell am See erreichen. Soll das in einem Flug geschehen, müssten wir von der Hohen Salve, dem Hausberg von Söll, mit verlässlicher Thermik das Brixental zur Choralpe queren, um von dort über die Kitzbüheler Alpen ins Pinzgau vorzustoßen. Den Sprung von der Choralpe ins Pinzgau habe ich schon einmal auf eigene Faust im Jahr 2022 gemacht; ich freue mich daher auf die anstehende Wiederholung.
Allerdings hat auch Eli Bedenken bezüglich der Talquerung von der Hohen Salve zur Choralpe. Es könnte sein, dass wir auf der Hohen Salve lange auf die Thermik warten müssen. Würden wir dann an der Choralpe den Anschluss verpassen und neu starten müssen, könnte es bei der Ankunft in Zell am See sehr spät werden. Also beschließen wir, von der Hohen Salve einen morgendlichen Gleitflug nach Westendorf zu machen und dort mit der Seilbahn auf die Choralpe aufzufahren. Der abgemilderte Plan fühlt sich gut an. Frohgemut verlassen wir den Tennenwirt, laufen hinauf zur Talstation der Bergbahn „Hochsöll & Hohe Salve“ und fahren auf den Berg.
Oben angekommen, zeigt sich beim erneuten Wettercheck, dass das Vorhaben vernünftig geplant ist. Die kräftige Inversion, die sich in der Nacht ausgebildet hat, reicht bis auf 1500 msl hinauf. Vermutlich werden wir lange warten müssen, bis wir zum Flug ins Pinzgau ansetzen können. Also machen wir uns auf dem Weststartplatz der Hohen Salve gemächlich fertig und begeben uns auf einen gemütlichen Gleitflug zum Landeplatz von Westendorf, der direkt vor der Talstation der Seilbahn zur Choralpe liegt.

Als wir den Nordhang der Choralpe erreichen, stellt sich die Frage, ob wir unterhalb der Mittelstation auf der Skipiste oder an der Talstation einlanden wollen. Wir entscheiden uns für das Tal.
Überraschenderweise müssen wir unsere Entscheidung finanziell nicht bereuen. Unser Vormittagsabonnement, das wir zwangsweise bei der Auffahrt in Söll für 37,50 Euro (!) pro Person kaufen mussten, gilt auch in Westendorf.
Einzelfahrten auf die Hohe Salve kann ein Paragleiter übrigens nur in Hopfgarten, aber nicht in Söll lösen. Es gibt manchmal wirklich unverständliche Regelungen ...
Von der Bergstation der Seilbahn aus laufen wir zum Bergrestaurant hinauf. Ein Rundblick zeigt uns, dass sich die Inversion noch nicht aufgelöst hat. Uber dem Dunst ist der Himmel bis auf ein paar Cirrenfelder blitzeblau. Der Wind weht relativ stark von Westen herüber. Dem kann auch der leichte Aufwind am Osthang nichts entgegensetzen.
Ein paar Piloten, darunter einige Flugschüler, haben sich am steilen Weststartplatz eingefunden. In ruhigen Phasen wird gestartet, die Flüge gehen aber alle ohne Höhengewinn abwärts zum Landeplatz in Westendorf. Zeit für kleine Stärkungen im Restaurant.

Gegen halb zwei entschließen wir uns loszufliegen. Es haben sich oberhalb der Choralpe ein paar Thermikwölkchen gebildet, ihre Basis ist mit knapp 2100 msl aber denkbar niedrig. Geduldig kurbeln wir hinauf und fliegen nach Süden über Nachtsöllberg, Laubkogel und Fleiding zum Brechhorn.
Hier knacken wir die Höhenmarke von 2200 msl, erreichen damit eine Gipfelüberhöhung um 150 Höhenmeter und fliegen weiter zum Gerstinger Joch, wo es endlich bis auf 2400 msl hinaufgeht.
Mit der gewonnenen Höhe fliegt Eli zügig weiter. Ich mache den Fehler, ihr mit gleicher Abflughöhe zu folgen, ohne den Bart bis zum Ende auszukurbeln. Das rächt sich, weil ich mit meinem B-Schirm anders als sie mit ihrem X-Alps-Ferrari nicht oberhalb, sondern unterhalb des Gamsbeil ankomme. Vielleicht hätte ich an dessen Nordwestflanke noch etwas probieren sollen, aber mein Vario sagte keinen Piep; deshalb sehe ich zu, so hoch wie möglich vor dem Steinkogel, der die letzte Barriere zum Pinzgau bildet, einzulanden.
Die Landung ist nicht ganz einfach, weil das Gelände nicht
nur huckelig, sondern auch großflächig sumpfig nass ist. Es
gelingt mir aber so einzulanden, dass der Schirm trocken
bleibt. Eli landet etwa 100 Höhenmeter oberhalb von mir auf
dem Joch.

Ich packe ein und begebe mich an den Aufstieg zu Eli. Tatsächlich finde ich einen markierten Wanderweg, verliere ihn aber auch nach einigen hundert Metern wieder. Eli teilt mir über Funk mit, dass sie mir ein Stückchen entgegenkommt. Beinahe wären wir aneinander vorbeigestiefelt, aber plötzlich stehen wir uns lachend gegenüber.
Zu dieser Tageszeit dominiert der von Norden blasende Bayrische Wind bereits alle anderen Luftströmungen. Auf dem Grat, der nördlich auf den Frühmesser hinaufführt, finden wir auf dem nördlich vorgelagerten Grasleitkopf einen Wiesenabsatz, von dem aus wir nach Norden gegen den Wind starten und dann im Bogen nach Süden abdrehen können.
Auf diese Weise kurven wir in einem großen Bogen um den
Wildkogel herum. Im Leestrom geht es anfangs rasant abwärts.
Als ich aber, in vertikaler Projektion betrachtet, die
Talsohle des Pinzgaus erreiche, wird mein Schirm sanft
angehoben. Ich drehe ein und kurbele in ruhigen nach Süden
versetzten Kreisen mitten über dem Tal bis auf 2100 msl
hinauf. Eli hat erst ein paar Suchkreise am Südwesthang des
Wildkogels geflogen, dreht dann aber, als sie sieht, dass ich
fündig geworden bin, zügig in meinen Bart ein.

Mit der erreichten Höhe lasse ich mich auf der Südseite des Pinzgaus an die nordwestliche Bergflanke des Zwölferkogels versetzen und zum Elferkogel treiben. An dessen Nordostseite kämpfe ich mich dann in Hangschleifen 200 Höhenmeter empor. Eli geht klüger vor; sie fliegt den Zwölferkogel von Westen an, überhöht seinen Gipfel und kann sich dann über dem Elferkogel noch einmal richtig in den Abendhimmel schrauben. Auf diese Weise sind wir nun in zwei verschiedenen Etagen unterwegs. Auf meiner Route von Bergflanke zu Bergflanke herrscht schwaches Geblubber, auf ihrer von Gipfel zu Gipfel gibt es immer wieder verwertbaren Auftrieb.
Wir passieren Mittersill und halten auf Uttendorf zu. Eli funkt mir zu, dort gäbe es noch freies Quartier. Offensichtlich hat sie ihren Flugvorteil genutzt, ihr Handy zu konsultieren. Sie schlägt den östlich von Uttendorf gelegenen Badeteich als Landeziel vor. Ich sage spontan leise zu mir: „Ich heiß' doch nicht Bernd!“ Aber dann schaue ich auf die Uhr. Es ist bereits viertel vor acht. Und so entschließe ich mich, obwohl ich gerade in der Umkehrthermik so schön zugange bin, zur Landung auf einer Weide östlich des Sees.
Nachdem Eli ebenfalls eingelandet ist, fragt sie mich, warum ich nicht in der prächtigen Umkehrthermik weiter nach Zell am See geflogen sei. Ich zucke mit den Achseln und denke: „Ich bin eben ein auf Sicherheit bedachter Esel!“
Noch vor dem Einpacken buchen wir eine freie Ferienwohnung
mit zwei Einzelzimmern beim „Tischlerwirt“ und einen Tisch
fürs Abendessen „Bei Albert“. Die Forelle schmeckt
ausgezeichnet. Welch ein schöner Safari-Tag liegt hinter uns!
