Was sich gestern Abend schon positiv abzeichnete, finden wir heute Morgen bestätigt: Das Wetter wird in den nächsten Tagen in den Nordalpen fliegbar werden. Wie schön! Eli schlägt deshalb vor, eine dreitägige Safari in Kössen mit dem Fernziel „Ramsau“ zu starten.
Mit der Idee bin ich sofort einverstanden. In Kössen war ich bislang noch nicht gewesen, obwohl es sich um einen der bedeutendsten Flugsportorte der Alpen handelt. Viele Streckenpiloten nutzen Kössen als Ausgangsort für ihre Flugvorhaben.
Der Safari-Start würde also in interessantem Neuland erfolgen. Und mit der Gegend südlich des Wilden Kaisers bin ich fliegerisch gut vertraut. Im Jahr 2022 schlugen die „Glorreichen Sieben“ ihr Quartier in Söll auf, im Folgejahr erkundete ich mit meinem Schirm das Fluggebiet von Kitzbühel und im Jahr 2021 war ich mit Eli unter anderem im Pinzgau unterwegs gewesen.
Nach einem zeitigen Frühstück sind Eli und ich unterwegs. Auf der österreichischen A10 an Salzburg vorbei, fahren wir auf der deutschen A8 bis zum Chiemsee und von dort auf der Landstraße nach Kössen. Während der Fahrt hat Eli bereits mit dem Kössener Tandem- und Wettkampfpiloten Herbert Tameggger telefoniert. Wir erhalten die Erlaubnis, das Auto drei Tage auf dem Seilbahnparkplatz stehen zu lassen.

Während wir an der Talstation der Seilbahn „Hochkössen“ auf Herbert warten, schauen wir uns die Landeplätze an. Herbert ist mit einem Passagier in seinem Tandemschirm unterwegs. Nach seiner Landung gibt es eine herzliche Begrüßung. Als Eli ihm von dem Plan erzählt, nach Söll zu fliegen, wiegt er bedächtig den Kopf. „Es könnte gehen“, meint er, „aber die Basis ist niedrig und der Westwind kräftig.“
„Dann scheidet der westliche Weg über den Zahmen Kaiser wohl aus“, überlegt Eli, „wir werden es besser östlich um das Kaisergebirge herum über den Niederkaiser versuchen.“
Wir fahren mit der Seilbahn auf das Unterberghorn. Sie führt nicht bis auf den 1800 Meter hohen Gipfel, sondern nur bis zur 1500 Meter hoch gelegenen Bärenhütte hinauf. Von dort wird schon den ganzen Morgen geflogen - aber immer nur abwärts. Ein paar Streckenpiloten warten unschlüssig auf dem Starthang auf das Einsetzen verlässlicher Thermik. Der Vertriebsleiter eines Gleitschirmherstellers, den Eli gut kennt, gesellt sich zu einem Plausch zu uns. Er hat meinen Bericht im DHV-Info über die 23er Safari gelesen. Er teilt mir seine Anerkennung für meine fliegerischen Aktivitäten mit, kann aber nicht umhin, mich mit einem Augenzwinkern darauf hinzuweisen, dass ich den falschen Schirm flöge. Geschäftsmann halt 😉.

Nach längerem Parawaiting starten wir schließlich gegen halb zwei. Der Flug beginnt mit einem „Kurbelknoten“ am Gipfel des Unterberghorns. Die tiefe Basis begrenzt unsere Bemühungen, eine gute Abflughöhe herauszuarbeiten. Bald wird es Eli zu bunt, und sie fliegt nach Süden ab.
Den zweiten Knoten produzieren wir nach dem ersten kleinen Talsprung über dem Schnappen, allerdings in zwei verschiedenen Etagen. Eli kreiselt ca. 100 Meter über mir, während ich den Schnappen auf der Suche nach Aufwind leerfliege. Was hat noch Ferdi Vogel in seinem Vortrag auf der Thermik 2022 vorgetragen? „In Flugrichtung überlegst du dir drei aufeinanderfolgende Thermikoptionen A, B und C. Wenn A nicht geht, dann fliegst du, ohne lange herumzubasteln, weiter nach B. Geht auch B nicht, dann sieh zu, dass du C erreichst. Geht auch C nicht, dann musst du die Landeklappen ausfahren!“

Gemessen an Ferdis Ratschlag, halte ich mich schon zu lange über dem Schnappen auf. „Na, gut“, sage ich mir, „du wirst schon sehen, was du davon hast“, und fliege weiter. „Also der Schnappen war Option A“, rekapituliere ich, „der nächst Grat ist Option B“. Dass Option B nicht funktioniert, ist mir nach zwei Umdrehungen klar. Ohne weitere Bastelei fliege ich weiter zum Halbkessel östlich der Landpension Altmühl. Dort an der Option C angekommen, habe ich nur noch ein Höhenpolster von rund 100 Meter unter dem Gurtzeug. Aber das Vario beginnt zu piepen. Nach zwanzig Hangschleifen und weiteren zwanzig Vollkreisen habe ich den Gipfel so weit überhöht, dass an ein Weiterfliegen zu denken ist.
Eli hat sich bei der Kurbelei zu mir gesellt; konsequenter Weise fliegt sie weiter, nachdem sie festgestellt hat, dass an der aktuellen Stelle weitere Bemühungen zwecklos sind. Nachdem ich ihre Abflughöhe erreicht habe, folge ich ich ihr zur Nordseite des Niederkaiser. Dort beginnt ein neues Geduldsspiel. Eli gelingt es beim Hangsoaren, im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein, um von dem schwachen Aufwind auf den Rücken getragen zu werden. Ich kämpfe weiter, erwische auch eine gute Phase, die aber leider nicht lange genug anhält. Als ich wieder stetig an Höhe verliere, entscheide ich mich für eine zivilisationsnahe Landung am Rand des Fleckens Gasteig. In Kenntnis meiner Entscheidung lässt sich Eli vom Wind auf die Südseite des Niederkaiser schieben, um dort möglichst weit in Richtung Söll vorzustoßen.
Nachdem ich den Flugsack gepackt habe, treffe ich auf eine wandernde Familie. Ob ich unten im Dorf eine Chance habe, einen Bus zu erwischen, frage ich. Es gebe dort eine Bushaltestelle, ist die günstige Auskunft. Ich folge den Wanderern auf ihrem Heimweg und finde mit ihrer Hilfe auch die Haltestelle. Leider stellt sich heraus, dass der Bus täglich nur einmal am frühen Morgen dort vorbeikommt.
„Wie komme ich nun nach St. Johann,“ frage ich mich, denn von dort fährt bis zum Abend sicherlich stündlich ein Bus in Richtung Söll. Grundsätzlich bin ich bereit zu laufen, aber für die Strecke von sechs Kilometern benötige ich vermutlich anderthalb Stunden. Also halte ich den Daumen in den Wind - und habe Glück. Nach etwa einer Viertelstunde hält eine Dame, die zum Einkauf bei „dm“ nach St. Johann fahren möchte.
Zwischenzeitlich hat mir Eli gefunkt, dass sie es auch nicht
viel weiter geschafft habe. Das stimmt nicht ganz; sie hat die
gewonnene Höhe fein genutzt, um sich durch die Leewirbel des
Kaisergebirges hindurch bis nach Going zu schaukeln. Sie
schreibt, ich hätte nichts verpasst, weil der Ritt wahrlich
kein Vergnügen gewesen sei. Na, gut. Akzeptiert.
Einige Zeit später sitzen wir beide jeweils in einem Bus. Eli hat den Vorteil, in fußläufiger Nähe einer Haltestelle gelandet zu sein, ich den Nachteil, in St. Johann erst einmal eine Station finden zu müssen, von der Busse in Richtung Wörgl abgehen. Dafür hält Elis Bus an jedem Milcheimer, während meiner auf der Expressroute unterwegs ist. Über SMS verständigen wir uns darauf, dass derjenige sich um Quartier kümmert, der als erster ankommt.
Per Telefon frage ich Musketier Bernd von den Glorreichen
Sieben, ob er noch wisse, wo wir bei einer nächster
Übernachtung in Söll unterkommen wollten. Zehn Minuten
später habe ich die Antwort. Es sei der „Tennenwirt“. Ich
leite die Information an Eli weiter. Sie kommt vor mir an
und macht für uns erfolgreich Quartier.
Die Zimmer im Tennenwirt sind gut, aber die Speisenkarte
ist arg einfaltslos. Wir beheben die durch das Abendessen
hervorgerufene Enttäuschung bei einem Spaziergang durchs
Dorf. Am Marktplatz gibt es mehrere Biergärten und in
einem davon Aperol Spritz für Eli und Hefeweizen für mich.
