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X-Alps Safari 2023 • 08. bis 12. August

12.08. Von Trient nach Greifenburg





Samstag, 12.08.2023 - Im Schatten des Glücks

Auf ein ausgiebiges Frühstück haben wir verzichtet. Die Bahnreise von Trient nach Sillian mit Umstieg in Franzensfeste und Innichen dauert gut drei Stunden. Weil wir in Sillian zu einer fliegerisch verwertbaren Zeit ankommen wollen, müssen wir Trient schon vor sieben Uhr verlassen.

Das Hotel war strategisch gut gewählt; der Bahnhof ist nur sechs Fußminuten entfernt. Eli besteht darauf, die Tickets zu kaufen. Das ist zwar gegen die Abmachung, aber sie lässt sich nicht umstimmen.

Der Zugfahrt verläuft ohne Zeitverluste über Bozen und Brixen. In Franzensfeste steigen wir in den Pustertalexpress nach Innichen um.

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Konzentrierte Entspannung ...
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... und üppige Restauration vor dem Flug

Es wird voll im Zug. Immer mehr Reisende steigen zu. Da es keine Unterbringung für unsere Packsäcke gibt, parken wir sie auf dem Nebensitz.

Irgendwann zwei, drei Haltestellen vor Innichen begehrt eine zugestiegende Wanderin mittleren Alters und fein herausgeputzt den Sitzplatz neben mir. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als aufzustehen und mich mit meinem Packsack in das Gedränge im Gang zu begeben. Sie setzt sich auf meinen Sitzplatz und legt ihr Handtäschlein neben sich auf den Nebensitz. Eli und ich kommentieren den Vorgang mit einem humorvollen Schmunzeln.

Bevor der Zug in Innichen, wo er gemäß Lautsprecherdurchsage endet, einläuft, steht die Lady auf und versucht sich, an mir vorbei zum Ausstieg zu drängeln. Ich sage ihr, sie solle gefälligst warten, bis der Zug hält. „Aber ich will hier aussteigen!“, empört sie sich und drängelt erneut. „Das müssen wir hier alle“ entgegne ich, “der Zug ist nicht ihr Privateigentum, merken Sie sich das! Und wenn Sie jetzt noch weiter drücken, platzt mir der Kragen!“ Mit kalter Wut in den Augen fügt Sie sich in ihr Schicksal. Die Umstehenden schütteln verständnislos den Kopf. Eli und ich schmunzeln.

Der wartende Anschlusszug bringt uns nach Sillian. Eli schlägt vor, ein zweites Frühstück einzunehmen. In einer Bäckerei werden wir auf das Üppigste versorgt.

Von dort laufen wir am Landeplatz vorbei nach Heinfels zur Seilbahn, die zum Thurntaler hinaufführt. Oben angekommen, folgt der Aufstieg zum Startplatz. Dort herrscht eine frische, aber gut startbare südwestliche Brise. Es ist sonnig bei zunehmender Quellbewölkung.

Wir fackeln nicht lange, sind aber aufgrund des langen Vorlaufs erst kurz vor ein Uhr in der Luft. Dennoch bleibt prinzipiell genügend Zeit, um nach Greifenburg zu fliegen.

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Auf dem Weg zur Seilbahn (Im Hintergrund: Der „Helm“)

Die Starts gelingen gut. Nach einigen Hangkurven pirsche ich mich um den westlichen Grat herum und versuche, zum Gipfel emporzuklettern. Wie meistens ist Eli deutlich über mir. Es will mir partout nicht gelingen, zu ihr aufzuschließen. Während ich mich angestrengt um Gipfelüberhöhung bemühe, überhöre ich ihren ersten Funkspruch, der mir rät, in die Sonne zu fliegen.

Erst als sie sich auf den ersten Talsprung nach Osten begibt und mir aus der Ferne noch einmal die gleiche Aufforderung zufunkt, schaue ich mich aufmerksam um. Eine großflächige Abschattung ist von Nordwesten hereingezogen. Sonne gibt es erst wieder einen Berg weiter ostwärts, auf dem Eli bereits angekommen ist.

„Verflixt!“, sage ich mir, „warum hast du nicht besser aufgepasst?“ Pessimismus steigt in mir auf, weil ich mit geringerer Abflughöhe zum Talsprung ansetzen muss und nur zu gut weiß, dass mein B-Schirm nicht die Gleitleistung ihrer X-Alps-Rennkiste zustande bringt.

„Über dem Schlag geht's rauf“, funkt sie mir zu, während sie locker durch den Himmel kreist. Tatsächlich komme ich mehr als hundert Meter tiefer als sie am Hang an und muss mich mühsam hinaufarbeiten. Irgendwie stecke ich in einem verbissenen Kampf fest. Krampf ist vielleicht das bessere Wort. Mehr als hundert Meter kann ich die Waldkante trotz mehrfache Anläufe nicht überhöhen. Zu wenig um sich auf das Almplateau zu wagen. Wenn ich zuviel riskiere und dort einlanden muss, kommen wir heute nicht mehr nach Greifenburg.

Vielleicht produzieren die von Süden heraufkommenden Bergeinschnitte verlässlichere Thermik, überlege ich. Aber es will nichts gelingen. Die Abschattung hat mich eingeholt. Ohne Hoffnung segele ich zur südlichen Talseite. Dort geht es auch nur noch abwärts. Eli schaut sich das Debakel aus der Höhe an. Als ich tief frustriert zur Landung in Abfaltersbach ansetze, spiralt sie zu mir herunter.

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Screenshot aus Google Earth: Elis TrackMein Track

Selten bin ich nach einem Flug so niedergeschlagen gewesen wie heute. Die Woche war wettertechnisch so schwierig und heute hätte endlich alles passen können. Aber ich war wohl einfach nicht locker, feinfühlig und umsichtig genug, zu angestrengt, zu verkrampft, zu verbissen und zunehmend zu pessimistisch. So geht es eben nicht. Das sollte ich mit meiner dreißigjährigen Flugerfahrung doch eigentlich wissen!

Obwohl mich Eli tröstend in den Arm nimmt, muss ich mir das Wasser der Enttäuschung („aqua frustrationis“) aus den Augen wischen. Gleitschirmfliegen kann psychisch richtig, richtig hart sein. Auch Eli weiß das und spart daher nicht mit aufmunternden Worten.

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Zurück in Greifenburg

Der nächste Zug von Innichen, der in Abfaltersbach hält, bringt uns nach Lienz. Dort geht es mit der Drautalbahn weiter bis Greifenburg. Mein Auto hat dort gewartet; es bringt uns zuverlässig zurück in die Ramsau, dem Ausgangspunkt unserer Safari.

Die Rückfahrt ist lang genug, um die Enttäuschung des letzten Flugtages zu überwinden.  Auch wenn die vergangene Woche wegen der schwierigen Wetterbedingungen fliegerisch weniger ergiebig als die Safari war, die wir vor zwei Jahren zusammen unternahmen, liegt doch ein fantastisches, unglaublich erlebnisreiches, intensives Abenteuer hinter uns. Das ist auch Elis Einschätzung. Und wenn das eine Pilotin sagt, die vor ein paar Wochen als erste Frau den X-Alps-Wettbewerb mit Zielankunft erfolgreich abgeschlossen hat, dann wird es wohl stimmen. Ihr Schlusskommentar: „Nächstes Mal weniger Fahrerei!“ Einverstanden.



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