
Hoffnung keimt. Wenn ich heute Morgen in der Ramsau von
der Terrasse des Hotel „Berghof“ auf die Planai schaue, sehe
ich fleckenweise blauen Himmel. Die Wolkenbasis ist über
Nacht auf 1800 Höhenmetern geklettert; allerdings bläst ein
kalter Westwind an meiner Nase vorbei. Die Temperaturen
liegen in der Früh im einstelligen Bereich.
Gestern sind wir „Glorreichen Sieben“ aus der sonnigen Türkei wiedergekommen. Die Truppe trifft sich seit über 10 Jahren jährlich einmal im Sommer zu einer Streckenflugwoche. Ganz leicht war es in der Vergangenheit nie gewesen, mit dem Wetter zurechtzukommen; trotzdem war es uns immer gelungen, irgendwo in der östlichen Hälfte der Alpen eine Region zu finden, in der wir unserer Leidenschaft nachgehen konnten. Doch dieses Mal war der Himmel unerbittlich.
Im gesamten Alpenraum von Savoyen bis Slowenien herrschte Regenzeit mit Sturm oder Sturmzeit mit Regen. Auch Eli Egger hatte das Streckenflugseminar der Flugschule Aufwind, das in der vergangenen Woche stattfinden sollte, abgesagt. Und das will etwas heißen!
Die Glorreichen Sieben hatten sich am Donnerstagabend vor
Beginn der Woche zu einer Videokonferenz zusammengeschaltet.
In der Ratlosigkeit, die beim Betrachten der Wetterdaten von
„Windy“ aufkam, fiel der schweifende Blick auch auf Lykien.
Für die Flugwoche wurde ungetrübter Sonnenschein am Babadağ
angesagt! In einer Nacht- und Nebelaktion buchten wir Flüge
und Hotelunterkünfte - und wurden für die Flexibilität
reichlich belohnt.
Leider hatte ich beim Rückflug aus der Türkei vergessen, etwas Sonnenschein einzupacken. In München goss es seit Tagen in Strömen. Auf der Fahrt in die Ramsau waren in der Gischt kaum die elenden Baustellenmarkierungen auf der Tauernautobahn zu erkennen. Als ich von der Fahrt reichlich entnervt im Berghof eincheckte, stand dem Hotelier das Bedauern ins Gesicht geschrieben: „Doas Wetter is heuer hoalt hundsschlecht!“
Heute wollte ich mit Eli auf Tour gehen, vorzugsweise
entlang der aktuellen X-Alps-Route, also (Schladming -)
Wagrain - Marquartstein - Lermoos ... Aber schon vorgestern
kam über WhatsApp ihr Vorschlag, uns wegen, naja, des Wetters
heute besser nur zu einer gemütlichen Planungsrunde zu
treffen.
Meine Vorfreude ist dennoch ungedämpft; sie ist seit
unserer Verabredung, die wir schon im Januar trafen, stetig
gewachsen. Ich hatte ja gar nicht damit gerechnet, dass sie
sich erneut auf ein Privatabenteuer mit mir einlassen würde.
„Mit der Teilnahme an den X-Alps wird dir in diesem Jahr
sicher die Zeit knapp“, hatte ich vorsichtig auf den Busch
geklopft. „Ach, i wo!“, war ihre Antwort gewesen, „die soan
doch schon im Juni fertig!“. Cool.
Ja, ja, die X-Alps 2023 liegen zwischen meiner letzten Safari mit Eli, die wir im Jahr 2021 unternahmen, und der jetzt anstehenden. Mit dem Redbull-Wettbewerb ist Eli Egger zum Inbegriff für weibliche Athletik im Gleitschirmfliegen geworden. Ich vermute, es gibt momentan keinen Paragleiter auf der Welt, der sie nicht kennt. Ihre Leistung bei den X-Alps hat natürlich auch meine volle Bewunderung. Mit welcher Coolness sie an den Start ging, habe ich vor Ort miterlebt.

Jetzt hocken wir bei einem Cappuccino zusammen und halten Rat. Über dem Alpenraum herrscht eine lebhafte Westströmung, die auch über die Woche hinweg mit mal mehr oder weniger nördlichem Einschlag persistieren wird. Heute beispielsweise bläst im Süden der Nordföhn. Im Norden habe es nicht viel Zweck, meint Eli, so verlockend es auch sei, sich noch einmal auf die X-Alps-Route zu begeben. Das gebe nur Kampf und möglicherweise auch viel Krampf, vor allem deswegen, weil übermorgen eine weitere Front die Alpen von West nach Ost überqueren werde. Nach kurzer Diskussion der Optionen einigen wir uns darauf, die Safari wie im Jahr 2021 in Greifenburg auf der Emberger Alm beginnen zu lassen.
Also alles wie gehabt? Nein ganz und gar nicht! Vor zwei Jahren wurden wir von Krimhild mit dem PKW begleitet. Dieses Mal weder ein Begleitfahrzeug noch eine Supporterin. Konsequenzen:
- Alle Habseligkeiten, die wir benötigen, müssen wir in
der Luft und auf dem Boden mit uns führen. Das ist
insbesondere in der Luft ein Problem, denn der Stauraum im
Gurtzeug ist begrenzt. Am Boden können beispielsweise die
Stöcke getragen oder außen am Rucksack befestigt werden; in
der Luft müssen sie in das Gurtzeuges hinein. Eli nimmt es
humorvoll: „In der Luft ziehen wir alles an, was wir an
Kleidung mit uns führen.“
- Wir werden nicht an den Landepunkten abgeholt werden; stattdessen werden wir uns zu Fuß bis zum nächsten Haltepunkt eines öffentlichen Verkehrsmittels durchschlagen oder notfalls ein Taxi rufen müssen.
- Das in der Hochsaison nicht immer einfache Quartiermachen können wir nicht dem Support aufhalsen. Wir werden uns an jedem Abend selbst mit dem Handy auf die Suche zu begeben haben.
Meine Material- und Gepäckliste ist den Umständen entsprechend sehr überschaubar:
- Gleitschirm „Skywalk Chili 4 XS“ (Zugelassener Gewichtsbereich: 70 kg bis 95 kg)
- Gurtzeug „Neo Stay Up 2.0“ (Biwaktasche leider erst in der Entwicklung)
- Packsack „Neo Lite Bag 90 L“ (Der Chili benötigt als
Normalschirm relativ Platz, deswegen 90 Liter
Fassungsvermögen)
- Variometer (XCTracer maxx), GPS-Spot (Flymaster Tracker), Handy, Watch, Powerbank
- Funkgerät
- Ladegerät mit drei USB-Steckplätzen, erforderliche Kabel
- Lesebrille, Portmonnaie
- Helm, Handschuhe, Sonnenbrille
- Sportschuhe, Flughose, Daunenjacke
- Dünne Sportjacke, kurze Hose, zwei Shirts
- Zwei Paare Unterwäsche, drei Paare Socken, zwei Windeln
(für den Notfall in der Luft)
- Beutel mit Zahnbürste, Zahnpasta, Dentalbürstchen, Sonnencreme, Nassrasierer, Waschlotion, Nagelclip, Zeckenzange
- Teleskop-Stöcke aus Leichtmetall
- Flexible Wasserflasche 500 ml
Das Gurtzeug habe ich mir nach Begutachtung auf der Thermikmesse 2023 für Abenteuer des Typs „Hike & Fly“ neu gekauft. Mein mir lieb gewordenes Standardgurtzeug, der „Neo Suspender“, ist für solche Unternehmungen einfach zu sperrig. Außerdem ist sein Kofferraum zu klein.
Als ich mich zu Hause marschbereit auf die Waage gestellt hatte, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Mit 78 kg Startgewicht liege ich in der unteren Hälfte des Gewichtsbereichs meines Schirms. Das ist für das Thermikfliegen ungünstig, sowohl beim Einfliegen als auch beim Zentrieren. Außerdem ist die Bremswirkung eines Gegenwindes um so größer je näher sich das Startgewicht dem unteren Ende des Gewichtsbereichs nähert. Darauf angesprochen, meint Eli, sie werde zwar mit ihrem X-Alps-Schirm fliegen, aber kein Ballast mitführen. Insofern werde sie sich mit denselben Widrigkeiten auseinandersetzen müssen.
Der Plan für morgen ist dann schnell gemacht. Eli fährt
nach Hause zum Packen, und ich mache ein paar verregnete
Spaziergänge in der Ramsau. Das leckere Abendessen im Berghof
ersetze ich durch zwei Tassen Kräutertee, denn „Babadağs
Rache“ hat meinen Verdauungstrakt seit einem unvernünftigen
Garnelenschmaus immer noch fest im Griff.